Reskript König Wilhelms I. von Württemberg vom 13. Juni 1861
von Gottes Gnaden
König von Württemberg.
Liebe Getreue! Wir haben die unterthänigste Eingabe der Kammer der Abgeordneten vom 16. März d. J. eingesehen, mittelst welcher Uns dieselbe ihren Beschluß hinsichtlich der von Uns mit Seiner Heiligkeit dem Pabst Pius IX. als Oberhaupt der katholischen Kirche geschlossenen Convention zu Regelung der Verhältnisse dieser Kirche in Unserem Königreiche vorgelegt hat, und geben euch hierauf Folgendes gnädigst zu erkennen.
Schon während der Unterhandlungen mit der römischen Curie haben Wir dieser bei einer Reihe von Punkten, und zwar gerade bei den wichtigsten, ausdrücklich erklären lassen, daß Wir in die bezüglichen Bestimmungen, als dem Gebiete der Gesetzgebung anheimfallend, nur unter dem Vorbehalte und unter der Bedingung der Zustimmung der Stände Unseres Königreiches einzuwilligen vermögen. Wir haben ferner schließlich bei Ertheilung Unserer Ratifikation für die abgeschlossene Uebereinkunft noch einmal allgemein die Einholung der Zustimmung der Stände zu den eine Aenderung der Landesgesetze in sich schließenden Punkten vorbehalten.
Mit dieser Erklärung haben Wir Unseren Ständen von selbst auch die vollkommene Freiheit gesichert, ihre Zustimmung zu den fraglichen Punkten oder auch schon ein Eingehen auf die bezüglichen Gesetzesvorlagen an die Bedingung zu knüpfen, daß der gesammte, durch die Convention zu bewirkende Rechtszustand nicht durch eine vertragsmäßige Schranke umgränzt sei, daß mithin vorher der Vertragscharakter im Ganzen beseitigt werde.
Angesichts des Beschlusses der Kammer der Abgeordneten vom 16. März l. J. können Wir nun über die dießfällige Absicht derselben nicht im Zweifel sein.
Da aber die Convention ihrer Form nach als ein Ganzes verabredet worden ist; da, was deren Inhalt betrifft, diejenigen Bestimmungen derselben, welche dem Gebiete der Gesetzgebung anheimfallen, und in welche Wir, wie bemerkt, ausdrücklich nur mit dem Vorbehalt und unter der Bedingung der ständischen Zustimmung eingewilligt haben, weit aus die wichtigsten sind; da ebendeßhalb ohne gleichzeitige gesetzliche Regelung der Punkte, auf welche diese Bestimmungen sich beziehen, die vorliegende Angelegenheit überhaupt in befriedigender Weise nicht zu ordnen ist: so müssen Wir, nachdem die Kammer der Abgeordneten so entschieden ausgesprochen hat, daß sie auf keine in Ausführung einer bindenden Uebereinkunft mit der römischen Curie an sie gelangende Gesetzesvorlage eingehen werde, den abgeschlossenen Vertrag als solchen überhaupt als gescheitert betrachten und können demselben daher auch Unserer Seits eine rechtliche Verbindlichkeit nicht mehr zuerkennen.
In Folge dessen haben Wir den am Schlusse Unserer Verordnung vom 21. December 1857 Unseren Ministerien ertheilten Auftrag, zu Vollziehung der Vereinbarung das Erforderliche einzuleiten oder anzuordnen, außer Wirkung gesetzt, ferner den Ministerien der Justiz, des Innern und des Kirchen- und Schulwesens den mit Bezugnahme auf jenes Uebereinkommen und auf Unsere angeführte Verordnung am 26. Februar d. J. dem ständischen Ausschusse übergebenen Gesetzesentwurf zurückzuziehen befohlen, und zugleich das Ministerium des Kirchen- und Schulwesens beauftragt, gemeinschaftlich mit den übrigen betheiligten Ministerien zu näherer Regelung der Rechtsverhältnisse der katholischen Kirche in Unserem Königreiche einen neuen selbstständigen und umfassenden Gesetzesentwurf vorzulegen, bei dessen Einbringung Wir auch über die im Wege der Verordnung zu erlassenden Bestimmungen euch näheren Aufschluß werden ertheilen lassen.
Was den Inhalt jenes neuen Gesetzesentwurfs betrifft, so ist es Unsere Absicht, daß die Regelung der einschlägigen Verhältnisse nach Maßgabe der in der früheren Convention enthaltenen Direktiven herbeizuführen gesucht und daß, unbeschadet der Rechte und Interessen des Staates und der in demselben befindlichen anderen Confessionen, der materielle Inhalt jener Convention der beabsichtigten neuen Staatsgesetzgebung zu Grunde gelegt werde.
In das zu erlassende Gesetz sind Wir übrigens bereit, eine ausdrückliche Erklärung in der Richtung niederzulegen, daß in Folge des oben erwähnten Kammerbeschlusses der mit der römischen Curie abgeschlossenen Uebereinkunft eine rechtlich verbindende Kraft nicht zukomme und daß für die einschlägigen Verhältnisse nur das betreffende Gesetz nebst den dazu gehörigen Verordnungen die Rechtsquelle bilde. Auch versteht es sich nach dem Angeführten von selbst, daß dem zu erlassenen Gesetz, sowie den betreffenden Verordnungen und Verfügungen keine andere rechtliche Natur zukommen kann, als jedem anderen Gesetz, beziehungsweise jeder anderen Verordnung oder Verfügung.
Anlangend endlich die in Folge der Convention bereits ergangenen Verfügungen, welche nun allerdings nicht mehr als in Vollziehung eines Vertrags erlassen betrachtet werden können, so behalten Wir Uns vor, dieselben nach erfolgter ständischer Berathung jenes Gesetzesentwurfs der erforderlichen Revision zu unterziehen.
Ueber alles Vorstehende haben Wir diejenige Mittheilung an die römische Curie zu deren Kenntnisnahme gerichtet, welche euch durch Unsere Ministerien der auswärtigen Angelegenheiten und des Kirchen- und Schulwesens in Abschrift mitgetheilt werden wird.
Indem Wir euch hiemit Gegenwärtiges gnädigst eröffnen, überlassen Wir Uns, berechtigt hiezu auch durch mehrfache Aeußerungen in der Kammer der Abgeordneten, gerne der Hoffnung, daß auf dem nunmehr zu betretenden Wege eine gedeihliche Lösung der vorliegenden, für das Wohl Unseres Landes so wichtigen Angelegenheit werde erzielt werden.
Wir verbleiben euch mit Unserer Königlichen Huld stets wohl beigethan.
Stuttgart, im K. Geheimenrath, den 13. Juni 1861.
Auf Seiner Königlichen Majestät besonderen Befehl:
Neurath."
Sources
Verhandlungen der Württembergischen Kammer der Abgeordneten in den Jahren 1856 bis
1861. Erster Beilagen-Band. Vierte Abtheilung, S. 2309 f., in: digital.wlb-stuttgart.de (Last access: 07.01.2018).
Archiv für katholisches Kirchenrecht 6 (1861), S. 411 f., in: opacplus.bsb-muenchen.de (Last access: 07.01.2018).