Deutsch-italienische Verhandlungen über die Behandlung und den Austausch von Kriegsgefangenen

Obwohl sich des Königreich Italien und das Deutsche Reich seit August 1916 im Krieg befanden, blieb die Anzahl der italienischen Kriegsgefangenen in Deutschland bis zur Zwölften Isonzoschlacht (ital. Battaglia di Caporetto) im Oktober 1917 mit 1.159 unbedeutend. Von den in dieser Schlacht, an der sich die Deutschen erstmals maßgeblich beteiligten, gefangen genommenen 300.000 italienischen Soldaten wurde rund die Hälfte im Reich interniert. Am Ende des Krieges befanden sich rund 170.000 italienische Kriegsgefangene in Deutschland.
Nicht nur aufgrund der schlechten Behandlung durch die Deutschen, sondern auch weil die italienische Regierung und das italienische Militär sie als Feiglinge oder gar Verräter ansahen und sie deshalb im Gegensatz zu den anderen kriegführenden Mächten nicht mit Nahrungsmitteln unterstützten, war die Lage der Gefangenen, insbesondere der Mannschaften, äußerst schlecht. Von den insgesamt rund 600.000 italienischen Gefangenen der Mittelmächte starben wahrscheinlich 100.000.
Dennoch unternahm die italienische Regierung offenbar diplomatische Anstrengungen, um die Lage der Gefangenen zu verbessern. So kam sie im November 1917 mit der Reichsregierung überein, Offiziersanwärter und Seekadetten wie Offiziere zu behandeln. Daneben kamen beide Staaten am 15. Mai 1918 in Bern zu einem Übereinkommen über die Behandlung der Kriegs- und Zivilgefangenen. Jedoch weigerte sich das Deutsche Reich offenbar, die Vereinbarung zu ratifizieren, da es Italien vorwarf, unrechtmäßig deutsches Eigentum zu beschlagnahmen. Schließlich gab es ein Übereinkommen über die Überführung der in den italienischen Kolonien befindlichen deutschen Staatsbürger nach Italien vom 15. Juni 1918.
Nach Kriegsende verlief die Heimkehr der italienischen Gefangenen aus Deutschland nur langsam an. Weder das Reich noch Italien forcierten die Repatriierung – letzteres weil es durch die rasche und unorganisierte Rückkehr der Gefangenen aus Österreich-Ungarn allein schon überfordert war. Aus Deutschland kehrte die Mehrheit der Internierten bis zum 19. Januar 1919 zurück. Jedoch wurden auch danach noch viele Gefangene in den Niederlanden, Dänemark oder in Frankreich zurückgehalten.
Analyse
Nachdem die Deutschen in der Zwölften Isonzoschlacht (ital. Battaglia di Caporetto) im Oktober 1917 erstmals eine große Anzahl italienischer Kriegsgefangener gemacht hatten, rückte ihr Schicksal bald in den Fokus der Aktivitäten des Heiligen Stuhls, der versuchte, zwischen dem Deutschen Reich und Italien zu vermitteln.
Im Vatikan sah man die Möglichkeit, sich mittels des durch das geistliche Amt gebotenen karitativen Engagements für die Kriegsgefangenen einen Platz bei den zukünftigen Friedensverhandlungen zu sichern, in deren Rahmen dann auch die Römischen Frage über den staatsrechtlichen Status des Heiligen Stuhls auf internationaler Ebene gelöst werden sollte.
Zunächst bemühte sich Pacelli im Auftrag Gasparris um die Verbesserung der Lage der Gefangenen im Deutschen Reich. So bat der Nuntius Reichskanzler Georg von Hertling mit Schreiben vom 7. Januar 1918, gefangene Offiziersanwärter den Offizieren gleichzustellen, wie es in Österreich-Ungarn gehandhabt wurde. Daraufhin erklärte der Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt Hilmar Freiherr von dem Bussche-Haddenhausen am 24. Januar 1918, dass dies bereits im November 1917 in einem bilateralen Abkommen zwischen der italienischen und der deutschen Regierung festgelegt worden sei. Der Vermittlungsversuch des Heiligen Stuhls kam damit zu spät, doch von dem Bussche-Haddenhausen würdigte in einer zweiten Note vom 29. Januar die Bemühungen des Heiligen Stuhls, was der Nuntius wohlwollend zur Kenntnis nahm (Dokument Nr. 2166, Nr. 8524 und Nr. 8525).
In der Frage nach einem Gefangenenaustausch zwischen beiden kriegführenden Mächten verhielt es sich ähnlich. Auch in diesem Fall wurden die eigentlichen Verhandlungen bilateral zwischen dem Reich und Italien geführt und der Vatikan konnte nur eine Nebenrolle spielen, die von deutscher Seite lediglich im Nachhinein erwähnt wurde. Am 9. Januar 1918 teilte Gasparri Nuntius Pacelli mit, dass dem Heiligen Stuhl gegenüber vermehrt Bitten geäußert worden seien, sich für die Repatriierung italienischer Kriegsgefangener aus dem Deutschen Reich einzusetzen. Der Nuntius sollte sich bei den zuständigen Behörden nach entsprechenden Möglichkeiten informieren (Dokument Nr. 4980). Von dem Bussche-Haddenhausen signalisierte, dass die Reichsregierung insbesondere bei den Schwerverwundeten verhandlungsbereit sei, machte den Nuntius jedoch darauf aufmerksam, dass die italienische Regierung über ihre schweizerische Gesandtschaft bereits Interesse an entsprechenden Verhandlungen geäußert habe (Dokument Nr. 2167). Reichskanzler von Hertling versicherte, alles in seiner Macht stehende zu tun, um die humanitären Anstrengungen des Papstes zu unterstützen. Auch wenn die Initiative von der italienischen Regierung ausgegangen sei, komme dem Papst doch das Verdienst zu, den ersten Schritt dorthin gemacht zu haben (Dokument Nr. 6075). Der Heilige Stuhl war damit auch in diesem Fall zu spät gekommen, um eine entscheidende Rolle beim Gefangenenaustausch spielen zu können.
Als Gasparri am 25. Februar den Nuntius beauftragte, sich insbesondere für medizinisches Personal und gegebenenfalls für Kapläne einzusetzen (Dokument Nr. 3674), wusste er noch nichts von den bilateralen Sondierungen zwischen Italien und dem Reich, denn der bereits genannte Nuntiaturbericht vom 8. Februar war offensichtlich noch nicht in Rom eingetroffen (Dokument Nr. 2167). Hier machte sich das Fehlen diplomatischer Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien schmerzlich bemerkbar. Gasparri musste erkennen, dass sich der Vatikan nur noch in die Verhandlungen würde einschalten können, um bei etwaigen Schwierigkeiten zu vermitteln, was er über Pacelli anbieten ließ. Der Nuntius sollte weiter auf ein solches Abkommen drängen und darauf, dass ausdrücklich darauf hingewiesen werde, dass es auf Initiative des Heiligen Stuhls zustande gekommen sei (Dokument Nr. 3591).
Die Vorverhandlungen machten zunächst Fortschritte, worüber von dem Bussche-Haddenhausen den Nuntius Anfang März informierte. Die Angelegenheit solle auf Vorschlag Italiens zwischen Vertretern der nationalen Organisationen des Roten Kreuzes beider Länder verhandelt und das Ergebnis von den Repräsentanten der Regierungen unterzeichnet werden (Dokument Nr. 615). Mitte April hatte Pacelli weitere Informationen: Die Reichsregierung hatte Italien durch Vermittlung des schweizerischen Politischen Departements vorgeschlagen, die Verhandlungen am 1. Mai beginnen zu lassen. Er selbst werde weiter versuchen, den Heiligen Stuhl in die Verhandlungen einbeziehen zu können (Dokument Nr. 4362). Italien nahm den Vorschlag an und am 1. Mai begannen die Verhandlungen (Dokument Nr. 4363). Pacelli scheiterte allerdings mit seinen Bemühungen, den Heiligen Stuhl am Verhandlungstisch zu platzieren, was er dem Kardinalstaatssekretär am 2. Mai mitteilen musste. Zwar habe die Reichsregierung ihm vertraulich mitgeteilt, dass sie den Vatikan gerne an den Verhandlungen beteiligt hätte, dem habe sich jedoch die italienische Regierung widersetzt (Dokument Nr. 4364).
Zwar gab das Auswärtige Amt seinen Unterhändlern die Instruktion, auf die Wünsche des Heiligen Stuhls Rücksicht zu nehmen, doch Italien war weder dazu bereit, den Heiligen Stuhl zu beteiligen noch ihn in dem Vertrag zu erwähnen. So kam der Vertrag am 15. Mai ohne Beteiligung des Heiligen Stuhls zum Abschluss. Die Reichsregierung drückte dem Papst im Anschluss in einer inoffiziellen Mitteilung ihren Dank aus (Dokument Nr. 616). Pacelli konnte erreichen, dass von Hertling dies am 29. Mai offiziell wiederholte und betonte, dass die Initiative der Verhandlungen auf den Heiligen Stuhl zurückgegangen war. Der Nuntius war der Meinung, dass diese Erklärung Gasparri und den Papst zufriedenstelle würde (Dokument Nr. 2172), was sie auch tat. Allerdings sah Gasparri von einer Veröffentlichung zunächst ab, da die öffentliche Meinung zu aufgewühlt sei. Schließlich war es italienischen Zeitschriften verboten worden, eine kurze Meldung aus dem "Osservatore Romano" zum Thema abzudrucken (Dokument Nr. 3673).
Die Umsetzung der deutsch-italienischen Vereinbarung machte Schwierigkeiten. Bereits am 21. Juni teilte von dem Bussche-Haddenhausen Pacelli mit, dass ihre Umsetzung aufgrund des italienischen Vorgehens gegen deutsches Eigentum in Italien in Gefahr sei. Deutsche Unternehmen würden liquidiert, deutsche Industrielle unter nichtigsten Vorwänden verurteilt und es bestünden Pläne, die deutschen wissenschaftlichen Einrichtungen in Italien zu beschlagnahmen. Die italienische Regierung sei über die schweizerische bereits darüber benachrichtigt worden (Dokument Nr. 2174). Zu diesem Problem übersandte der Kardinalstaatssekretär seinem Nuntius am 13. August eine Kopie eines Briefes des italienischen Parlamentsabgeordneten Giuseppe Marchese Roi, in welchem dieser die Hintergründe des Streits aus italienischer Sicht erörterte. Dort hieß es unter anderem, dass die Affäre auf den ungerechtfertigten Vorwurf Reinhard Dohrns zurückgehe, die von ihm geleitete Zoologische Station in Neapel sei vom italienischen Staat beschlagnahmt worden. Roi wies außerdem zurück, eine solche staatsrechtliche Frage mit dem Problem der Kriegsgefangenen zu vermischen. Gasparri witterte hier offenbar erneut die Chance, dass der Heilige Stuhl rettend eingreifen könne, und beauftragte Pacelli, vorsichtige Schritte zu unternehmen (Dokument Nr. 3676).
Doch auch diese Aktion kam nicht recht voran. Am 2. Oktober unterstrich das Kriegsministerium erneut, dass die Ratifizierung der deutsch-italienischen Vereinbarung von der Haltung Italiens zum deutschen Eigentum abhänge (Dokument Nr. 4366). Am 28. Oktober gab Pacelli dann eine Mitteilung der preußischen Gesandtschaft in München wieder, in der es hieß, dass die Reichsregierung nach wie vor eine befriedigende Erklärung der italienischen Regierung zur Zoologischen Station in Neapel erwarte, bevor sie die Vereinbarung ratifizieren könne. Dazu übersandte er die italienische Übersetzung einer entsprechenden Verbalnote vom 24. September, die über die schweizerische Regierung an die italienische erging (Dokument Nr. 2180). Da mit dem Kriegsende die Angelegenheit ohnehin obsolet geworden war, blieb Gasparri nichts anderes übrig, als am 27. November den Empfang von Pacellis Bericht zu quittieren und sich für seine Bemühungen zu bedanken. Die Diplomatie des Heiligen Stuhls war einmal mehr vom Königreich Italien in ihre Schranken verwiesen worden (Dokument Nr. 3679).
Literatur
PROCACCI, Giovanna, "Fahnenflüchtige jenseits der Alpen". Die italienischen Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn und Deutschland, in: OLTMER, Jochen (Hg.), Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs (Krieg in der Geschichte 24), Paderborn u. a. 2006, S. 194-215.
SCHEIDL, Franz, Die Kriegsgefangenschaft von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Eine völkerrechtliche Monographie, Berlin 1943, S. 99, 598.
Empfohlene Zitierweise
Deutsch-italienische Verhandlungen über die Behandlung und den Austausch von Kriegsgefangenen, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 4044, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/4044. Letzter Zugriff am: 25.04.2024.
Online seit 02.03.2011, letzte Änderung am 01.02.2022.
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