Trennung von Kirche und Staat in Preußen
In ihrem Erlass über den Schulunterricht vom 15. November 1918 wurde die Freiheit der Meinungsäußerung im Unterricht stark eingeschränkt. In Artikel 5 sah der Erlass vor, dass Kinder von Dissidenten oder von Andersgläubigen, deren Religionsunterricht nicht angeboten wurde, auf Antrag der Eltern vom Religionsunterricht als Pflichtfach befreit werden sollten.
Der "Erlaß über die Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht" vom 27. November 1918 war lediglich von Hoffmann, nicht aber von Haenisch unterzeichnet. Der Erlass schien Vorbote einer radikalen Schulreform zu sein denn er hob die geistliche Schulaufsicht mit sofortiger Wirkung auf. Die bisherigen Ortsschulaufseher, also die Geistlichen, sollten allerdings so lange im Amt bleiben, bis sie von den staatlichen Kreisschulinspektoren abgelöst würden. Dies müsse bis zum 31. Dezember des Jahres geschehen. Der Erlass löste einen Sturm der Entrüstung bei der evangelischen und der katholischen Kirche, dem Episkopat und der Deutschen Zentrumspartei aus. Vielerorts wurde seine Durchführung mit Blick auf die im Januar anstehenden Wahlen zur Verfassunggebenden Landesversammlung verzögert. Da sie dort auf eine Koalition mit der Zentrumspartei angewiesen sein würde, revidierte die Regierung, der Adolph Hoffmann und die USPD mittlerweile nicht mehr angehörten, in ihrem "Erlaß über die Ortsschulaufsicht vom 15. Februar" den Erlass vom 27. November des Vorjahres. Der Vollzug des Erlasses wurde eingestellt, aber überall dort, wo die Ablösung der Geistlichen als Schulaufseher ohne Protest durchgeführt worden war, wurde sie nicht rückgängig gemacht. Erst mit dem "Gesetz, betreffend die Aufhebung der Ortsschulinspektionen vom 18. Juli 1919" wurde diese uneinheitliche Situation behoben und die geistliche Schulaufsicht in Preußen endgültig aufgehoben.
Mit dem "Erlaß über die Aufhebung des Religionszwangs in der Schule vom 29. November 1918" kündigte Konrad Haenisch an, dass die Durchführung der Trennung von Kirche und Staat noch nicht entschieden sei. Bestehende Missstände des Schulwesens, nämlich die Aufhebung der Glaubensfreiheit durch den Zwang der Teilnahme an religiösen Veranstaltungen für Lehrer und Schüler wurde mit dem Erlass aufgehoben. Die freiwillige Teilnahme wurde ausdrücklich gestattet. Die Erziehungsberechtigten, der Episkopat und die Zentrumspartei lasen aus dem Erlass jedoch mehr als eine Aufhebung des Religionszwangs. Dadurch, dass das Religion als Prüfungsfach abgeschafft und z.B. das Auswendiglernen des Katechismus als Hausaufgabe für den Religionsunterricht untersagt wurde, sahen sie das durch die Gewissensfreiheit gewährte Recht auf eine christliche Erziehung der Kinder als nicht mehr gewährleistet an.
Der preußische Episkopat reagierte mit einer scharfen Beschwerde des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, des Kölner Erzbischofs Felix Kardinal von Hartmann vom 19. November auf die ersten kulturpolitischen Maßnahmen, wobei ihn Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri unterstützte. Hartmann wiederholte seinen Protest nunmehr mit der Unterstützung der preußischen Bischöfe am 16. Dezember. In ihrem Hirtenbrief nannten die preußischen Bischöfe die Trennung von Kirche und Staat ein "Frevel" und ein "Unrecht", weshalb sie "die schärfste Verwahrung" einlegten.
Sources
Erlass über den Schulunterricht vom 15. November 1918, in: HUBER, Ernst Rudolf /
HUBER, Wolfgang (Hg.), Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur
Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. 4: Staat und Kirche in der Zeit der
Weimarer Republik, Berlin 21990 ND Darmstadt 2014, Nr. 47,
S. 63.
Erlass über die Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht vom 27. November 1918, in:
HUBER, Ernst Rudolf / HUBER, Wolfgang (Hg.), Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert.
Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. 4: Staat und Kirche in
der Zeit der Weimarer Republik, Berlin 21990 ND Darmstadt 2014, Nr. 43,
S. 61.
Erlass über die Aufhebung des Religionszwangs in der Schule vom 29. November 1918,
in: HUBER, Ernst Rudolf / HUBER, Wolfgang (Hg.), Staat und Kirche im 19. und
20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. 4:
Staat und Kirche in der Zeit der Weimarer Republik, Berlin 21990 ND Darmstadt
2014, Nr. 48, S. 63-65.
Erlass über die Ortsschulaufsicht vom 15. Februar 1919, in: HUBER, Ernst Rudolf /
HUBER, Wolfgang (Hg.), Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur
Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. 4: Staat und Kirche in der Zeit der
Weimarer Republik, Berlin 21990 ND Darmstadt 2014, Nr. 45,
S. 61 f.
Gesetz, betreffend die Aufhebung der Ortsschulinspektionen vom 18. Juli 1919, in:
HUBER, Ernst Rudolf / HUBER, Wolfgang (Hg.), Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert.
Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. 4: Staat und Kirche in
der Zeit der Weimarer Republik, Berlin 21990 ND Darmstadt 2014, Nr. 46,
S. 62.
Hirtenschreiben der preußischen Erzbischöfe und Bischöfe vom 20. Dezember 1918, in:
HUBER, Ernst Rudolf / HUBER, Wolfgang (Hg.), Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert.
Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. 4: Staat und Kirche in
der Zeit der Weimarer Republik, Berlin 21990 ND Darmstadt 2014, Nr. 16,
S. 27-31; auch in: HÜRTEN, Heinz (Bearb.), Akten deutscher Bischöfe über die Lage der
Kirche 1918-1933, Bd. 1: 1918-1925 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte
A 51), Paderborn u. a. 2007, Nr. 21, S. 38-42.
Protestschreiben des Erzbischofs von Köln, des Kardinals v. Hartmann, im Namen der
preußischen Bischöfe gegen die Entchristlichung der Schule vom 16. Dezember 1918, in:
HUBER, Ernst Rudolf / HUBER, Wolfgang (Hg.), Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert.
Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. 4: Staat und Kirche in
der Zeit der Weimarer Republik, Berlin 21990 ND Darmstadt 2014, Nr. 50,
S. 67; auch in: HÜRTEN, Heinz (Bearb.), Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche
1918-1933, Bd. 1: 1918-1925 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte A 51),
Paderborn u. a. 2007, Nr. 19, S. 31 f.
Protestschreiben des Erzbischofs von Köln, Kardinal v. Hartmann, an die preußische
Regierung vom 19. November 1918, in: HUBER, Ernst Rudolf / HUBER, Wolfgang (Hg.) (Hg.),
Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen
Staatskirchenrechts, Bd. 4: Staat und Kirche in der Zeit der Weimarer Republik, Berlin
21990 ND Darmstadt 2014, Nr. 8, S. 18; auch in: HÜRTEN, Heinz
(Bearb.), Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1918-1933, Bd. 1: 1918-1925
(Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte A 51), Paderborn u. a. 2007,
Nr. 7, S. 16 f.
Schreiben des Kardinalstaatssekretärs Gasparri an den Erzbischof von Köln, Kardinal v.
Hartmann vom 7. Dezember 1918, in: HUBER, Ernst Rudolf / HUBER, Wolfgang (Hg.), Staat und
Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen
Staatskirchenrechts, Bd. 4: Staat und Kirche in der Zeit der Weimarer Republik, Berlin
21990 ND Darmstadt 2014, Nr. 14, S. 24 f.; auch in: HÜRTEN,
Heinz (Bearb.), Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1918-1933, Bd. 1:
1918-1925 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte A 51), Paderborn u. a.
2007, Nr. 16, S. 28 f.
Bibliography
HUBER, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 5: Weltkrieg,
Revolution und Reichserneuerung 1914-1919, Stuttgart u. a. 1978, S. 886-889.
HÜRTEN, Heinz, Die Kirchen in der Novemberrevolution. Eine Untersuchung zur Geschichte der
Deutschen Revolution 1918/19, Regensburg 1984.
HÜRTEN, Heinz, Amtskirchen und Kirchenvolk in der deutschen Revolution, in: SALEWSKI,
Michael (Hg.), Die Deutschen und die Revolution, Göttingen / Zürich 1984,
S. 360-378.