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Das zwischen Napoleon I. Bonaparte und dem Heiligen Stuhl 1801 geschlossene
Konkordat sah noch eine Verquickung von Staat und Kirche vor – ersterer übernahm
beispielsweise die Besoldung des Klerus. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich
jedoch eine zunehmend antiklerikale Haltung im Staat, die an eine auf Aufklärung und
Revolution zurückgehende Tradition anknüpfen konnte. Der Laizismus intendierte, jede
öffentliche Einflussnahme der Kirche zu unterbinden. Der Staat sollte das Familienleben, z.
B. den Bereich der Ehescheidung oder die Geburtenkontrolle, und den Schulunterricht
unabhängig von kirchlicher Beteiligung regeln. Besonders die Dritte Republik strebte ab 1876
trotz einer eher versöhnlichen Haltung Leos XIII. eine vollständige Säkularisierung des
öffentlichen Lebens an. Im Gefolge der Affäre um den jüdischen Hauptmann Alfred Dreyfus
erhielt die politische Linke 1902 bei den Parlamentswahlen die Mehrheit. Die neue Regierung
verschärfte den Konflikt zwischen Kirche und Staat durch eine Reihe von Gesetzen, die zur
Schließung von kirchlichen Schulen, zur Beendigung der Lohnzahlungen an den französischen
Klerus und zur Aufhebung sämtlicher Ordensgemeinschaften führten. 1904 kam es daraufhin zum
Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen dem französischen Staat und dem Heiligen
Stuhl. 1905 löste die Regierung unter Ministerpräsident Emile Combes das Konkordat von 1801
und verabschiedete ein Gesetz, das die Trennung von Kirche und Staat endgültig etablierte
und Frankreich zu einem laizistischen Staat machte. Mit der Enzyklika "Vehementer nos" vom
11. Februar 1906 verurteilte Papst Pius X. das staatliche Vorgehen. Doch auch die
Kirche gewann an Freiheiten: der Papst konnte die Bischöfe völlig autark ernennen, die
wiederum ihrerseits unabhängig von staatlicher Einflussnahme ihre Sprengel ordnen und leiten
konnten. Die patriotische Haltung der französischen Kirche im Ersten Weltkrieg führte zu
einer Wiederannäherung beider Seiten. Die Rückgewinnung Elsass-Lothringens, in dem das
Konkordat von 1801 weiterhin galt, bedingte die Aufnahme neuer Beziehungen zwischen dem
Heiligen Stuhl und der französischen Regierung. Papst Benedikt XV. konzedierte der
Regierung, bei Bischofsernennungen gegebenenfalls politisch motivierte Einwände mitzuteilen.
Die Ordensgemeinschaften durften mit der Zeit wieder nach Frankreich zurückkehren. Ab 1919
bildete die Versammlung des französischen Episkopats eine nationale
Kirchenvertretung.
Online seit 02.03.2011, letzte Änderung am 15.02.2016. Als PDF anzeigen
Trennung von Kirche und Staat in Frankreich
Quellen
Loi relative à la séparation des Eglises et de l'Etat, du 9 décembre 1905, in:
GIACOMETTI, Zaccaria (Hg.), Quellen zur Geschichte der Trennung von Staat und Kirche,
Tübingen 1926, S. 272-286.
Pius X., Vehementer nos, in: Actae sanctae sedis 39 (1906), S. 3-16, in: www.vatican.va (Letzter Zugriff am: 28.01.2016).
Literatur
ALBERT, Marcel, Frankreich, in: Lexikon für Theologie und Kirche3 4 (1995), Sp. 11-28.
CAMPENHAUSEN, Axel Freiherr von, Staat und Kirche in Frankreich (Göttinger
Rechtswissenschaftliche Studien 41), Göttingen 1962, S. 3-50.
GADILLE, Jaques, Die Trennung von Kirche und Staat in Frankreich, in: JEDIN, Hubert
(Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 6: Die Kirche der Gegenwart, Teilbd. 2: Die Kirche zwischen Anpassung und Widerstand 1878 bis 1914, Freiburg im Breisgau / Basel / Wien 1985,
S. 527-538.
MARTY, François, Laizismus, in: Lexikon für Theologie und Kirche3 6 (1997),
Sp. 612 f.
Empfohlene Zitierweise
Trennung von Kirche und Staat in Frankreich, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 22017, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/22017. Letzter Zugriff am: 01.06.2025.
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